Lieber Farin…











Farin,

Du kannst wirklich froh sein. Weißt Du, was man als normaler Mensch hin und wieder machen muß? Man muß Besuche beim Arbeitsamt hinter sich bringen (ist mir egal, daß das Arbeitsamt nicht mehr so heißt). Früher einmal, so sagte man mir, war es gar nicht so schlimm, zum Arbeitsamt zu gehen. Damals hatten die Damen und Herren dort aber auch noch Ahnung. Heute spricht man dort mit Menschen, die nicht einmal die kleinste Ahnung über die allgemein üblichen Abschlüsse haben. Glaubst Du mir das? Nein? Dann gebe ich Dir ein Beispiel aus meinem Bekanntenkreis.

Wir sprechen hier von einer jungen Frau, die gerade mit der Promotion fertig geworden ist. Sie war an der Uni angestellt, wollte dort aber nicht mehr bleiben. Also hat sie sich auf dem Arbeitsamt gemeldet, um für die Zeit der Bewerbungen finanziell versorgt zu sein und auch noch, vielleicht, wenn es denn möglich ist, das eine oder andere Stellenangebot abzugreifen.

Beraterin: Und was haben Sie jetzt so gemacht, in den letzten Jahren?

Das ist eine blöde Frage, überlegt man sich, daß sie den Lebenslauf meiner Bekannten vor sich liegen hat.

Dr. Bekannte: Ich habe meinen Doktor gemacht. Zuerst über ein Stipendium, dann über eine Anstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni.

Beraterin: Aha.

Es folgt eine Pause, in der die Beraterin ihre Augen etwas nervös über den Lebenslauf fliegen läßt.

Beraterin: Und was haben Sie studiert?

Auch das steht selbstverständlich im Lebenslauf. So gehört es sich nämlich.

Dr. Bekannte: Mathematik.

Beraterin: Oh.

Wieder folgt eine Pause. Offensichtlich wird die Beraterin von einem Gedanken geplagt, wagt aber nicht gleich, ihn auszusprechen. Dann fasst sie aber doch genug Mut.

Beraterin: Mathematik, also. Und wie wird man dann Ärztin?

Das ist wirklich genauso passiert!!

Die Dame wußte nicht, daß man auch einen Doktortitel haben kann, ohne Mediziner zu sein. Sollte man so etwas wissen? Eigentlich schon. Sollte man es als Angestellte der Agentur für Arbeit wissen? DEFINITIV!!

Ist es denn zu viel verlangt, den Leuten bei Einstellung ein Blatt zu geben, auf dem die Standartabschlüsse verzeichnet sind? Die, die der Staat anerkannt? Wie soll die Dame meiner Bekannten einen Job vermitteln, wenn sie nicht einmal weiß, daß es einen Unterschied zwischen einem Dr. med. und einem Dr. rer. nat. gibt?

Solltest Du mir die Geschichte nicht abnehmen, warst Du mit Sicherheit noch nie beim Arbeitsamt. Als ich sie gehört habe, war ich nicht mal überrascht. Dazu hatte ich schon zu viele ähnliche Anekdoten aus der wunderbaren Welt der Arbeitsvermittlung gehört und selbst erlebt.

Da war zum Beispiel eine Produktionsassistentin beim Fernsehen. Sie war in ihrem Beruf für das Buchen von Schauspielerin, Drehorten u.ä. zuständig. Die Vor- und Nachorganisation eines Drehs lag in ihrer Hand. Das ist ganz normal für einen Produktionsassistenten beim Fernsehen. Ganz normal ist auch, daß die Leute nur projektbezogene Verträge haben und zwischendrin immer mal wieder arbeitslos sind und sich beim Arbeitsamt melden.

Das Problem bei der Geschichte ist, daß das Arbeitsamt nichts mit dem Begriff Produktionsassistent anfangen kann. Das heißt, halt, so ganz stimmt das nicht, denn das Arbeitsamt kennt diese Berufsbezeichnung sehr wohl. Allerdings nur im Zusammenhang mit Fabriken und Werkshallen. Produktionsassistenten zählen zum Beispiel Schrauben. Sie assistieren bei der Produktion. In der Fabrik. Nicht beim Fernsehen.

Jene Produktionsassistentin hat sich also arbeitslos gemeldet und dazu das passende Arbeitslosengeld beantragt. Das Arbeitsamt hat ihr dann Stellenausschreibungen geschickt, bei denen sie sich melden MUßTE, damit ihr das Arbeitslosengeld nicht gestrichen wird. Und jetzt, liebster Farin, rate mal, was für Stellenangebote das waren.

Das ist so bizarr, daß man eigentlich eine Serie machen sollte. Vielleicht kann man ein Buch herausbringen: Das Leben ein Traum – Abenteuer in den Mauern der Agentur für Arbeit.

Deine marta



et cetera